Seismologie

Wellenausbreitung in der Erde und beobachtetes Seismogramm (© IMGW)

Der Arbeitsbereich Geophysik legt einen starken Schwerpunkt auf Seismologie. Sie befasst sich mit der Ausbreitung elastischer Wellen durch das Erdinnere. Die Beobachtung, Simulation und Analyse solcher Wellen hat Auswirkungen auf einen breiten Bereich der Forschung und industriellen Anwendung. Im Bereich der Grundlagenforschung sind solche Beobachtungen das entscheidende Mittel, um ein Verständnis der Struktur und Funktionsweise unseres Planeten zu erbringen. Des Weiteren erlaubt die Seismologie durch die Beobachtung von  Erdbeben wie auch durch Bestimmung seismischer Anisotropie Rückschlüsse auf die Deformation im Inneren der Erde. Seismische Herdprozesse, wie auch verursachte Schäden, sind wichtige Elemente für die Einschätzung von Naturgefahren, ein Thema, welches in der Zukunft noch größere Bedeutung als bereits jetzt gewinnen wird. In diesen Bereichen führen wir Forschungsprogramme in Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Organisationen durch.

Auch im Bereich der Rohstoffversorgung der Gesellschaft leistet die Seismologie entscheidende Beiträge durch die Abbildung sedimentärer Schichtung in 2D oder 3D, und das Monitoring von Lagerstätten (induzierte Seismizität, 4D-Tomographie etc).

All diese Anwendungsbereiche sind im Wiener Raum prominent vertreten:
Diese Gegend ist eine Erdbebenzone, die sich aktiv, wenn auch relativ langsam, deformiert. Daher drängen sich Fragen nach dem seismischen Risiko auf. Das Wiener Becken ist weiterhin ein kohlenwasserstoffhaltiges Gebiet, welches für die Versorgung mit Erdöl und Erdgas eine wichtige Rolle spielt ; daher die prominente Anwesenheit verschiedener Erdölfirmen im Wiener Raum, wie letztlich auch der OPEC (Organisation of Petroleum Exporting Countries) selbst. Eine weitere wichtige Komponente der Seismologie im Wiener Raum ist die Überwachung von Nukleartests, welche von der CTBTO (Comprehensive Test Ban Treaty Organisation) in Wien durchgeführt wird, und begleitet von nationalen Institutionen, wie der ZAMG (Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik).

Breitbandige Beobachtung der Erddynamik

Beobachtung der Erddeformation über verschiedene Periodenbereiche und Disziplinen der Geowissenschaften hinweg. (© IMGW)

Deformation innerhalb der Erde findet in einem sehr breiten Periodenband statt, und wir haben in den letzten Jahren verstanden, dass die breitbandige Beobachtung dieser Phänomene neuartige und zum Teil überraschende Ansätze zu bekannten, scheinbar unlösbaren Problem der Geowissenschaften ermöglicht.

Ein Beispiel ist das Zusammenspiel seismologischer, geodätischer und geologischer Beobachtungen in Subduktionszonen, welches zur Hoffnung Anlaß gibt, Fragen der Nukleation großer und sehr schadensträchtiger Erdbeben verstehen zu können.

Das Bild zeigt die Beobachtungsbereiche verschiedener geowissenschaftlicher Disziplinen wie Seismologie, Geodäsie und Geologie. Die Kombination der Beobachtungen über diese Fachgrenzen hinweg sind entscheidend für ein besseres Verständnis der Dynamik der Erde. Diese Beobachtungen werden unterstützt durch Gravimetrie, Deformationsmessung und Inklinometrie.

Für solche Beobachtungen steht unter anderem das Conrad-Observatorium am Trafelberg im Wienerwald zur Verfügung, welches ausgezeichnete Bedingungen für die Beobachtung bietet.

Erdbeben, Dynamik der Erdkruste und seismische Gefährdung

Beobachtete seismische Intensitäten bzw. Beschleunigungen durch das Sendai-Erdbeben vom 11.3.2011 in Japan ('Shakemap'), sowie die ungefähre Lage des aufgetretenen Bruchs entlang der Plattengrenze. Der Stern zeigt den Ort des Bruchbeginns (Quelle USGS).

Beobachtete seismische Intensitäten bzw. Beschleunigungen durch das Sendai-Erdbeben vom 11.3.2011 in Japan ('Shakemap'), sowie die ungefähre Lage des aufgetretenen Bruchs entlang der Plattengrenze. Der Stern zeigt den Ort des Bruchbeginns (Quelle USGS).

Ein wichtiges Anliegen ist für uns das bessere Verständnis von Erdbeben, um einerseits die Dynamik der Erdkruste im allgemeinen, und konkret die seismische Gefährdung genauer zu verstehen. Dieser Wunsch wird verstärkt durch jüngst aufgetretene katastrophale Erdbeben sowie Tsunamis (Sumatra 2004, Japan 2011) und den daraus resultierenden massiven materiellen Schäden und der großen Zahl von Todesopfern. Weitere Konsequenzen solcher Erdbeben betreffen insbesondere spezielle Gebäude wie Atomkraftwerke.

Auch wenn es in Österreich keine kommerzielle Atomkraft gibt, ist das Land dennoch nicht frei von nuklearer Problematik, da in benachbarten Ländern mehrere, zum Teil ältere, Atomkraftwerke stehen. Die Risikoanalyse in und um Österreich, auch bzgl. von Atomkraftwerken, wird für uns ein zentrales Anliegen sein für die kommenden Jahre, und wir werden dazu notwendige Untersuchungen anstellen.

Eine der dafür verwendeten Methoden basiert auf intakten Stalagmiten, die alle in der Gegend (seit Jahrtausenden) aufgetretenen Erdbeben "überlebt" haben. Dieser Ansatz benötigt speleologische Beobachtungen, numerische Modellierung, aber vor allem intakte Stalagmiten in der Gegend.

Geodynamik und Antriebskräfte der Plattentektonik

Verteilung der Erdbeben unter Japan (Quelle USGS).

Verteilung der Erdbeben unter Japan (Quelle USGS).

Wir hoffen des weiteren, auch das Verständnis der prinzipiellen Funktionsweise unseres Planeten voranzutreiben. Die vor wenigen Jahren massiv ausgebauten seismologischen Netzwerke (zumindest in manchen Gegenden) werden uns dafür entscheidende Möglichkeiten bieten. Diese Forschung hat starkes Potential, neben der Grundlagenforschung auch wichtige neuartige Beiträge für die Anwendung, i. B. zur Risikoforschung zu erbringen.

Eine wichtige Größe wäre die flächendeckende Bestimmung des Spannungszustands im Erdinneren, da sie im Prinzip prognostische Möglichkeiten bieten würde. In den letzten 10 Jahren haben wir dazu umfangreiche Vorarbeiten durchgeführt, wie beispielsweise an der San Andreas Verwerfung in Kalifornien, aber auch weltweit (Antriebskräfte der Plattentektonik). Eine der dabei speziell entwickelten Methoden basiert auf der seismischen Anisotropie, die Rückschlüsse auf Deformation und auch den Spannungszustand im Erdinneren ermöglicht. Wir werden unsere besondere Expertise u.a. einsetzen, um die tiefe Deformation unter Japan zu bestimmen, und damit zu einem besseren Verständnis der dort im Jahr 2011, in der Folge des katastrophalen Sendaibebens auftretenden tiefen Deformationen beizutragen. Räumliche Verlagerungen mechanischer Spannungen werden entscheiden, wo und wann weitere Schadensbeben auftreten werden.

Wir sehen auch Anlaß zur Hoffnung, daß die Zahl der hervorragenden seismologischen Stationen, die sich in Österreich befinden, ausgebaut werden kann, zu einer Dichte, wie sie heutzutage im internationalen Bereich üblich ist.

Gravimetrie (Schwerefeldforschung)

Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen die räumlichen und zeitlichen Veränderungen des Schwerefeldes der Erde in unterschiedlichen Skalen.

Räumliche Schwerevariationen

Bouguerschwerekarte von Nord-Tirol (Österreich) berechnet auf der Basis 2-dimensionaler Dichtemodelle ohne Berücksichtigung quartärer Becken- und Talfüllungen, sowie nach Subtraktion der Schwerewirkung der Oberkruste (0 bis 10 km) und der Krusten-Mantelgrenze gemäß dem Erdkrustenmodell von Ebbing et al. (2001). (© IMGW)

Die Analyse und Interpretation von Schweredaten sowie die Verbesserung von Processingmethoden bei der Bestimmung von Schwereanomalien stehen im Vordergrund.

In Kooperation mit dem Bundesamt- für Eich- und Vermessungswesen wurde 2006 auf der Basis aller in Österreich verfügbaren Daten eine moderne Schwerekarte Österreichs kompiliert, die die Grundlage der Schwerefeldinterpretation im Alpenraum darstellt (z.B. Krustenstruktur und lokale Dichteinhomogenitäten wie die übertiefter glazialer Täler).

Zeitliche Schwerevariationen

Schwereänderung am Conrad-Observatorium durch Starkniederschlag und konvektive Prozesse (© IMGW)

International ist dieser Forschungsbereich in das Global Geodynamcis Project (GGP) (IAG Inter-Commission Project IC-P3.1: Joint with Commission 2 - The Gravity Field, & Commission 3 - Earth Rotation and Geodynamics) eingebunden, in dem folgende Themen im Vordergrund stehen: 

    • Struktur der Erde und Geodynamische Prozesse
      • Erdgezeiten
      • FCN
      • Eigenschwingungen der Erde
    • Schwerevariationen durch meteorologische und hydrologische Prozesse
    • Erdrotation and Polbewegung
    • Schwereänderung durch tektonische Prozesse

In Kooperation mit der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in Wien werden zeitliche Variationen des Schwerefeldes beobachtet. Zwischen 1995 und 2007 erfolgte eine 12 Jahre lange Messreihe in Wien mit einem supraleitenden Gravimeter (SG), dem derzeit genauesten verfügbaren Instrumentarium. Site-by-Site Registrierungen mit Absolutgravimetern (BEV, Universität Luxemburg, Observatorium Pecny) und gut kalibrierten Scintrex Gravimetern ermöglichten die Bestimmung des Skalenfaktors mit einer Genauigkeit von 0,1%. Seit November 2007 befindet sich das SG im neuen Conrad-Observatorium der ZAMG. Wie zuvor schon in Wien, liegt der Fokus auf der Erforschung von Umwelteinflüssen in unterschiedlichen räumlichen und zeitlichen Skalen (Niederschlag, Hydrologie, atmosphärische Effekte).

Die Modellierung des gravimetrischen Effekts meteorologischer bzw. hydrologischer Prozesse ist entscheidend für eine korrekte Separation geodynamischer Signale aus den Schwere-Zeitreihe. Dazu wurde ein umfangreiches meteorologisches Instrumentarium zur Erfassung des Luftdrucks, des Niederschlags und anderer meteorologischer Parameter in hoher zeitlicher Auflösung (1 min) eingerichtet.